insider Ausgabe 03/2020 Online

9 8 Rolf Schünemann: Arbeitsabläufe, Or- ganisationsprozesse, Geschäftsent- wicklung u. v. m. – zahlreiche Bereiche waren von den Corona-Folgen betrof- fen. Welche Veränderungen haben Sie für Ihr Unternehmen festgestellt und was konnte Ihr Unternehmen aus der Krise lernen? Thomas Bischof: Gewiss zieht die Ent- wicklung der letzten Monate nicht spur- los an unserer Branche vorüber. Wir sind jedoch bis heute sehr gut durch die Krise gekommen und konnten sogar Marktanteile gewinnen. Dass wir auch jetzt ein starker Fels in der Brandung sind, verdanken wir unseren frühzeiti- gen Investitionen in die digitale Trans- formation, unserer nachhaltigen Aus- richtung und unseren fest verankerten Vertriebspartnerschaften. Uns hat die Krise gezeigt, dass in sehr vielen Berei- chen neue Wege möglich sind. Ein Bei- spiel ist unser Pilotprojekt zur Schaden- begutachtung per Video, um unseren Kunden auch jetzt schnell zu helfen. Dr. Thomas Wiesemann: Für unser Haus kann ich sagen, dass der Wechsel ins Homeoffice ohne große Rüstzeiten vollzogen wurde, da wir bereits letztes Jahr flächendeckend auf „Flexibles Ar- beiten“ umgestellt hatten. Gleichzeitig war uns wichtig, unseren Geschäfts- partnern und Kunden mit schneller und zielgerichteter Unterstützung zur Seite zu stehen: mit neuen Online-Dialog- Formaten, umfangreichen liquiditäts- sichernden Maßnahmen und nicht zu- letzt mit digitalen Services. Damit war es unseren Vermittlern zu jedem Zeit- punkt möglich, Anträge auch ohne je- den physischen Kontakt aufzunehmen und elektronisch einzureichen. Auch wenn wir uns alle wieder darauf freuen, die Präsenztermine hochzufahren: Das Miteinander aus persönlich und digital funktioniert. Das gehört für mich zu den Punkten, die wir gemeinsam aus der Krise lernen können. Rolf Schünemann: Lässt sich für die Versicherungswirtschaft ggf. bereits ein Fazit ziehen, welche Sparten be- sonders schwer von den Corona-Fol- gen betroffen waren? Markus Krawczak: Die Covid-19-Pan- demie stellt uns alle vor große Her- ausforderungen, auch die Versiche- rungsbranche. Aufgrund der extrem dynamischen Situation ist es aber zu früh, bereits jetzt Bilanz zu ziehen. Der genaue Schadenumfang und die kon- krete Betroffenheit der einzelnen Spar- ten ist derzeit noch nicht absehbar und hängt letztlich von Schwere und Länge der Pandemie und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen ab. Rolf Schünemann: Zumal Rezessi- on und ein Auslaufen von Kurzarbeit Schwierigkeiten für die Versiche- rungsbranche und die Makler mit sich bringen könnte. Wie schätzen Sie die Lage ein? Dr. Thomas Wiesemann: Es gibt Effek- te, die aber durchaus in unterschiedli- che Richtungen wirken. Auswirkungen durch z. B. den konjunkturellen Rück- gang und die zum Teil weiterhin beste- henden Kontaktbeschränkungen steht ein weiter steigender Bedarf an Absi- cherungs- und Vorsorgelösungen ge- genüber. Finanzielle Sicherheit und Ge- sundheitsvorsorge werden angesichts der aktuellen Erfahrungen von vielen Menschen neu bewertet. Wir beobach- ten dementsprechend ein deutlich an- steigendes Interesse bei Biometrie- und KV-Zusatzprodukten sowie bei Vorsor- gelösungen, die Renditechancen mit Si- cherheitselementen verbinden. Rolf Schünemann: Reichen die Ku- lanzregeln der Versicherer aus, um die wirtschaftliche Stabilität der Vermitt- ler zu gewährleisten, und wie schät- zen Sie die wirtschaftliche Lage der Vermittler ein, falls die gestundeten Verträge nicht wieder anlaufen? Markus Krawczak: Aus unseren Aus- wertungen können wir feststellen, dass unsere Kulanzregelungen vom Markt positiv angenommen und genutzt wer- den. Viele freie Vermittler haben zudem die Erreichbarkeit der Kunden, aufgrund von Homeoffice etc., genutzt und diese online beraten. Es ist deutlich spürbar, dass die verschiedenen Digitalisierung- soffensiven der vergangenen Jahre un- seren Vertriebspartnern gerade jetzt helfen. Für eine abschließende Bewer- tung ist es allerdings auch hier noch zu früh. Die wirtschaftliche Situation der Vermittler ist zudem immer eine Ein- zelfallbetrachtung und kann somit nicht pauschal beantwortet werden. Rolf Schünemann: Zudem haben uns Vermittler darüber berichtet, dass sie zuletzt trotz Homeoffice und Lock- down quasi als Krisenmanager mehr Kundenkontakt als vorher hatten. Tei- len Sie diese Erfahrungen? Welche Chancen ergeben sich daraus für die Kundenbindung? Thomas Bischof: Als Risikoträger wa- ren wir intensiv gefordert, während des Lockdowns den gewohnt guten Service für unsere Kunden und Vertriebspart- ner sicherzustellen, was gut geklappt hat. Wir haben auch von vielen Ver- triebspartnern gehört, dass sie in sehr engem Kontakt zu ihren Kunden stan- den und ihre Beziehung vertieft haben. Das ist natürlich eine große Chance. Die Zahlen zeigen, dass sie auch realisiert wurden: Viele Partner haben im ersten Halbjahr im Privatkundengeschäft spür- bar zugelegt. Wir unterstützen unsere Vertriebspartner weiter umfassend bei ihren digitalen Prozessen, sodass sie die Aufmerksamkeit ihren Kunden wid- men können – ob persönlich vor Ort oder eben auch remote. Dr. Frank Ulbricht: Betrachten wir einmal die Handels- und Börsenwelt: Nach Ansicht von Bundesbankpräsi- dent Jens Weidmann ist die schlimms- te Phase der Wirtschaftskrise in der Corona-Pandemie vorüber. Wie schät- zen Sie die Lage ein und welche Markt- entwicklung erwarten Sie? Johan Swahn: Wir gehen davon aus, dass der April der Tiefpunkt für die wirt- schaftliche Aktivität der Pandemie war, und erwarten von hier aus eine allmäh- liche wirtschaftliche Erholung. Darüber hinaus war die politische Reaktion auf die Pandemie mit massiven geld- und fiskalpolitischen Anreizen von Regie- rungen und Zentralbanken beispiellos. Diese Faktoren zusammen führten zu einer relativ schnellen Markterholung im zweiten Quartal und sollten die Märk- te weiterhin unterstützen. Trotzdem müssen wir mindestens ein weiteres Jahr mit der Pandemie leben, obwohl wir eher lokale Ausbrüche als einen er- neuten globalen Lockdown erwarten. Daher wird die Erholung in einigen Sek- toren verhalten sein, und die Marktvola- tilität kann anhalten. Thomas Bartling: Das denke ich auch. Der Corona-Schock hat weltweit zu tie- fen Einschnitten im Bruttosozialprodukt Unverkennbar haben die Corona-beding- ten Maßnahmen erhebliche Auswirkungen auf das Gros der Wirtschaftssektoren in Deutschland. Betroffen hiervon waren und sind nach wie vor auch die Versicherungs- und die Finanzbranche, und dies nicht nur in Bezug auf Geschäftsentwicklung, Bör- senbarometer, Portfoliozusammenstellung oder Schadenquoten. Corona hat quasi über Nacht kräftig an den tradierten Gepflogen- heiten der Branche gerüttelt. Statt Hän- deschütteln und direktem Beisammensein hieß es nun Videokonferenz und Homeof- fice. Des Weiteren wurden digitale Techno- logien in kürzester Zeit weiter aufgerüstet, um Prozesse (noch) effizienter zu gestalten. Im Rahmen des aktuellen -Talks diskutierten daher die beiden Gastgeber Rolf Schünemann und Dr. Frank Ulbricht mit ausgewiesenen Branchenexperten über die kurz- bis langfristigen Effekte der Coro- na-Pandemie auf die Aufstellung der Fonds- und Versicherungsindustrie. © Caslot Jean-Charles / Thomas Bernhardt © Funtap - stock.adobe.com / TOM ZIORA

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