insider 01/2021 online
: Das Jahr 2020 ist bestimmt von den Corona-Fol- gen. Wie hat die Pandemie die Globalisierung verändert? Dr. Dirk Rogowski: Die Covid-19-Pan- demie hat uns allen in atemberauben- der Geschwindigkeit vor Augen geführt, wie verletzlich globale Lieferketten sein können und wie wichtig eine funktionie- rende regionale Wirtschaft ist. Die Re- Regionalisierung der Weltwirtschaft, die übrigens schon vor einigen Jahren be- gann, wird sich durch die Covid-19-Krise massiv beschleunigen und verstärken. Lieferketten werden weniger global und stattdessen stärker regional aufgebaut. Die Rückbesinnung auf die Produktion im Heimatmarkt, wobei Heimatmarkt hier mehr den Kontinent als das Land meint, findet bereits statt. Es gibt je- doch wichtige Ausnahmen: Die Berei- che Software/Informationstechnologie und Medien/Unterhaltung werden glo- bal bleiben, weil Daten keine Lieferket- ten brauchen. : Ist denn die Rückführung von Produktion möglichst in das eigene Land so einfach umsetzbar? Dr. Rogowski: Deglobalisierung hat viele Facetten. Handels- protektionismus ist eine Erscheinungsform von Deglobali- sierung, denn es geht im Kern um die Distanzierung von der Weltmarktintegration. Nicht zuletzt die USA waren in den letzten Jahren ein Vorreiter dieses Prozesses. Hinsichtlich der Rückführung von Produktion in das eigene Land sind zahlrei- che Populisten großen Irrtümern erlegen. Es kann für die USA z. B. viel sinnvoller sein, wenn Produktion aus Asien nach Me- xico oder Kanada rückverlagert wird, denn durch das beste- hende Freihandelsabkommen wirken die positiven Effekte für die gesamte Freihandelszone. Große regionale Freihandels- blöcke aufzubauen und erfolgreich zu repositionieren, darum geht es meines Erachtens in den nächsten Jahren. Die Regio- nal Comprehensive Economic Partnership, kurz RCEP, ist das beste Beispiel dafür, wie man es machen sollte. : Inwiefern ist Deutschland als (sehr) exportabhän- gige Ökonomie besonders von dieser Tendenz zur Degloba- lisierung betroffen? Dr. Rogowski: Mit dem europäischen Binnenmarkt haben wir ausgezeichnete Startbedingungen für diesen Transformationsprozess. Unser größter Markt liegt direkt vor der Haus- tür. Wir müssen jedoch einerseits Sorge tragen, dass unsere europäischen Part- ner auch in der Lage sind, unsere Produk- te und Dienstleistungen zu kaufen, und andererseits unsere Technologieführer- schaft in möglichst vielen Zukunftsberei- chen erhalten. In Abwandlung eines be- rühmten Zitats würde ich sagen: It’s the education, stupid! Darüber hinaus sollten wir schleunigst Abkommen wie das lei- der gescheiterte Freihandelsabkommen TTIP abschließen, um uns Marktzugänge für die Zukunft zu sichern. : Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für die Anleger? Dr. Rogowski: Die globalen Gewinner im Bereich der Software/IT und Medi- en/Unterhaltung sollte man immer mit auf dem Schirm haben, denn sie wer- den von ihrer Dominanz nur wenig verlieren in den nächsten Jahren. Ansonsten sollte man auf Technologieführer setzen in Kombination mit regional starken Playern aus nahezu al- len Branchen. Ganz wichtig: Region meint hier eher Kontinent und nicht ein Land. : Zu guter Letzt: Welche Erwartungen hat Ihr Haus für 2021? Dr. Rogowski: Wir gehen davon aus, dass wir trotz des zweiten Lockdowns noch immer am Beginn eines neuen Wirtschaftsaufschwungs stehen. Daher erwarten wir für die nächsten zwölf Monate tendenziell freundliche Börsen. Dies wird massiv unterstützt durch die Geld- und Fiskalpolitik aller großen Notenbanken. << Das Erfordernis der Deglobalisierung ist durch die Unterbrechung von Lieferketten in der Corona-Krise besonders zutage getreten. Über das Zusammenspiel und die Veränderungen von Regionalisierung und Deglobalisierung sprach die insider-Redaktion mit Dr. Dirk Rogowski, Mitglied des Vorstandes der Warburg Invest AG. 27 © Elnur - stock.adobe.com
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