insider 01/2021 online
Jahrzehntzyklus Weniger Beachtung erhält – zu Recht – ein möglicher Jahr- zehntzyklus, wonach sich eine Tendenz zu guten oder schlechten Börsenjahren aus der letzten Ziffer der Jahreszahl ergibt. Im langfristigen Durchschnitt brachten Jahre, die auf eine Null endeten, unterdurchschnittliche Ergebnisse, je nach Index sogar Verluste. Auch die beiden folgenden Jahre, also die 1er- und 2er-Jahre, waren verlustanfälliger. Dann aber brachten alle folgenden Jahre eines Jahrzehnts im Durch- schnitt einen Anstieg, insbesondere ungerade Jahre, sodass die höchsten Kursniveaus einer Dekade meist im 9er-Jahr erreicht wurden. Naturgemäß ist die Anzahl der Jahrzehnte, die man zur Durchschnittsberechnung heranziehen kann, ver- gleichsweise klein. Sogar Statistiker, die grundsätzlich an Börsenzyklen glauben, räumen ein, dass der Jahrzehntzyklus kein stabiles Muster aufweist. Und auch das Jahr 2020 passt nicht. Denn Jahre, die auf eine Null enden, wiesen bislang im Durchschnitt die schlechteste Performance und die höchste Verlustwahr- scheinlichkeit auf. Der Corona-Crash passte ins Bild. Dass es DAX und Dow Jones dann doch gelang, diese Verluste noch vor dem Jahresende vollständig aufzuholen, strafte die Annahme eines Jahrzehntzyklus abermals Lügen. Der Jahr- zehntzyklus ist statistisch schwach, schlecht begründet und aufgrund seiner geringen Zuverlässigkeit ohne Nutzen für Anleger. US-Präsidentschaftszyklus Besser begründet ist ein anderer mehrjähriger Zyklus: der vierjährige US-Präsidentschaftszyklus. Seit dem späten 19. Jahrhundert verzeichnete der Dow Jones in zwei von drei Jah- ren, in denen US-Präsidentschaftswahlen stattfanden, einen Gewinn, so auch 2020. Im Durchschnitt stieg der Dow Jones in diesen Jahren, auch unter Einrechnung der Verlustjahre, um rund acht Prozent. Noch besser entwickelte sich der US- Aktienmarkt in Vorwahljahren mit durchschnittlich gut neun Prozent. Beides dürfte darauf zurückzuführen sein, dass sich die politischen Parteien und schließlich die Spitzenkandidaten vor den Wahlen um die Gunst der Wähler bemühen. DieWahlversprechen heben die Stimmung. In den zwei Jahren nach der Wahl, also der ersten Hälfte der jeweiligen Amtszeit, herrscht dagegen eher Ernüchterung, zumal die Regierung lieber unpopuläre Maßnahmen ergreift, wenn der nächste Wahltermin noch weit entfernt ist. Zwar ist der Dow Jones auch im Durchschnitt der beiden Jahre nach Präsidentschafts- wahlen gestiegen, aber es gab mehr Verlustjahre, sodass die Durchschnittsergebnisse niedriger sind. So ganz passt die kurze „Ära Trump“ nicht zu dem Zyklus: Zwar fällt die Bilanz des Dow Jones sowohl im Jahr seiner Wahl, 2016, als auch seiner Abwahl, 2020, positiv aus, und das Vorwahljahr 2019 war mit einem Anstieg um 22,3 Prozent erwartungsgemäß gut. Den stärksten Anstieg verzeichnete der Dow Jones in den letzten fünf Jahren aber 2017 (+25,1 Prozent), ausgerechnet in einem Nachwahljahr. Konjunkturzyklus Der zweifellos wichtigste Zyklus für die Aktienmärkte bleibt somit der Konjunkturzyklus: Bei guter Konjunktur, in einem Aufschwung, steigen die Unternehmensgewinne, was den wichtigsten Grund für steigende Aktienindizes liefert. Um- gekehrt belastet ein Wirtschaftsabschwung Unternehmens- gewinne und Aktienkurse. Allerdings nehmen die Börsen jeweils die zu erwartende Konjunkturentwicklung zeitlich vorweg. Gerade dieses Jahr zeigt das eindrucksvoll: Als im März erkennbar wurde, dass die Pandemie zu einem starken Einbruch der Weltwirtschaft führen würde, führte das zum Crash. Schon ab Ende März wurde an den Börsen die Erho- lung der Wirtschaft thematisiert, was zu der starken Kurser- holung führte. Fazit: Von den statistisch vermuteten Börsenzyklen besitzt lediglich der saisonale Jahreszyklus eine gewisse, allerdings abnehmende Signifikanz. Gründe sind unter anderem der Zu- fluss neuer Liquidität und das Aufleben von Risikobudgets nach dem Jahreswechsel, die durch Urlaubszeiten geringere Handelsaktivität im August und das „window dressing“ zum Jahresende. All diese Effekte sind aber eher schwach und werden deshalb häufig von anderen Einflussfaktoren überla- gert. Letztendlich haben Börsenzyklen auf Basis historischer Durchschnitte die gleiche Relevanz wie Horoskope: Wer da- ran glaubt, findet Übereinstimmung. Alles andere sind dann die berühmten Ausnahmen, die die Regel bestätigen. << 31
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