insider 04/2020 online
ein Anstieg der längerfristigen Zinsen, da die steigenden Staatsschulden das Angebot an Anleihen deutlich erhö- hen werden und auch die erwartete Inflation für die nächsten Jahre stetig steigt. Da die Marktteilnehmer über - wiegend nicht entsprechend positi - oniert sind, drohen in einem solchen Szenario stärkere Schwankungen an den Kapitalmärkten. Frank Ulbricht: Die EZB hat bei ihrer jüngsten Sitzung keine weitere Auf - weichung der Geldpolitik in Aussicht gestellt. Wie bewerten Sie diese Ent - scheidung, auch angesichts der volks- wirtschaftlichen Lage? Andreas Sauer: Das halte ich für gut und richtig. Ich teile die Einschätzung vieler Kolleginnen und Kollegen, dass bei dem Umfang der bisherigen An - leihenkäufe sowie den aktuellen Zins - niveaus eine weitere Lockerung kaum oder sogar gar negative realwirtschaft - liche Effekte mit sich bringt. Geduld ist hier wichtiger als weiterer Aktionismus. Frank Ulbricht: Werden wir angesichts der Geldflutung der Märkte wieder an - ziehende Inflation sehen? Wenn ja, wie schützt man sich davor? Johannes Müller: Kurzfristig sehen wir keine großen Inflationsgefahren. Millionen von Arbeitnehmern befin - den sich in Kurzarbeit, womit nicht mit steigender Lohninflation zu rechnen ist. Längerfristig sollten die Inflations - raten aber wieder anziehen, in diesem Zyklus zusätzlich gestützt durch ver - stärkte Einflussnahme der Politik in das Wirtschaftsleben, sei es im Hinblick auf eine Rückverlagerung von Produk - tion, zunehmende Handelshemmnisse oder Vorschläge wie die Vier-Tage-Ar - beitswoche. Als Anleger kann man sich einerseits durch Realwerte wie z. B. Aktien gegen steigende Inflationsraten absichern. Inflationsindexierte Anleihen sind ein anderes Instrument, mit dem man Vermögen absichern kann, in die - sem Fall jedoch um den Preis negativer Realrenditen. << 25 europäischen Aktienmärkte den US- Markt in den kommenden Monaten out - performen können. Zum einen nehmen die Risikofaktoren in den USA durch den Pandemie-Verlauf, die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen und einen sehr auf Technologie ausgerichteten Markt zu. Zum anderen sind die europäischen Märkte aufgrund ihrer eher frühzykli - schen Struktur eher auf eine weitere ökonomische Erholung ausgerichtet. Der Wiederaufbaufonds spricht zudem für ein stärkeres Zusammenhalten der EU-Mitglieder und könnte die Konfidenz für europäische Investments verstärken. Frank Ulbricht: Der V-DAX schwankt derzeit um die 25 Zähler. Erachten Sie es als realistisch, dass wir beim sog. Angstbarometer in absehbarer Zeit wieder höhere Stände sehen? Andreas Sauer: Der V-DAX liegt über dem langjährigen Durchschnitt und ten- diert aktuell doppelt so hoch wie noch zu Jahresbeginn. Trotz des Konjunktu - roptimismus herrscht weiterhin hohe Unsicherheit an den Märkten. Hohe Volatilitäten bedeuten damit teure Ab - sicherungen gegen Kursverluste. Die Risiken bis zum Jahresende sind allen bekannt. Eine zweite Corona-Welle, der Ausgang der US-Wahlen oder auch die globalen Handelsthemen können den V-DAX jederzeit wieder nach oben aus - schlagen lassen. Carsten Roemheld: Nach einer star - ken Erholung der Aktienmärkte be- kommen die Risikofaktoren in den Herbst hinein wieder etwas stärkere Bedeutung. Neben den Unsicherhei - ten rund um die US-Wahlen laufen auch die Fristen für eine Einigung beim Brexit am Jahresende aus. Das gesamte Ausmaß der Pandemie in wirtschaftlicher Hinsicht wird erst in den nächsten Jahren sichtbar werden. Daher nehmen die Risiken zu, deutlich höhere Zahlen bei Insolvenzen und Ar - beitslosigkeit zu beobachten, sobald die entsprechenden Hilfsprogramme auslaufen. Was die Volatilität an den Märkten ebenfalls erhöhen könnte, ist Johannes Müller ist seit 1994 bei der DWS Group und aktuell Managing Director bzw. Head of CIO Office & Macro Research in Frankfurt. Vor seiner jetzigen Funktion war er Chief Investment Officer Wealth Management, Deutschland und Chief Investment Officer für Multi Asset. Zuvor leitete Müller das Euro Liquids Asset Class Management Team. Davor war er als Portfoliomanager für deutsche und europäische Rentenfonds sowie als Händler für DM-Renten tätig. Carsten Roemheld ist Kapitalmarktstratege bei Fidelity International. Bis 2014 war er zusätzlich als Head of Fund Selection bei Fidelity tätig. Von 2005 bis 2013 war Roemheld bei der Credit Suisse in London und Frankfurt als Director US Equity Sales für institutionelle Kunden in Deutschland, Skandinavien und Großbritannien zuständig. Seine berufliche Laufbahn begann innerhalb der Commerzbank 1998 bei der Publikumsfondsgesellschaft ADIG Investment (später Cominvest) als Portfoliomanager.
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