9 LEITTHEMEN ergänzender privater Altersvorsorge mit Kapitaldeckung mit dem Kernelement eines öffentlich verwalteten, stark aktienbasierten Fonds mit breiter Diversifizierung sei eine sinnvolle Ergänzung, um die Alterssicherung zunehmend von der voraussichtlich anhaltend ungünstigen demografischen Entwicklung zu entkoppeln. Alle Mitglieder der Zielgruppe würden automatisch einbezogen werden (Auto-Enrolment), erhielten aber die Möglichkeit, nicht teilzunehmen (Opt-out). Wie gesagt, entfalten die ergänzende Kapitaldeckung und die Anhebung des Renteneintrittsalters erst längerfristig ihre volle Wirkung. Kurzfristig wirksame Reformelemente, die soziale Härten berücksichtigten und die Ausgaben der GRV entlasteten, seien eine Anpassung des Nachhaltigkeitsfaktors, die Einführung einer Inflationsindexierung von Bestandsrenten, die Staffelung der Rentenberechnung nach Einkommen sowie die Möglichkeit einer abschlagsfreien Frührente für langjährige Geringverdiener. Der Nachhaltigkeitsfaktor berücksichtigt Veränderungen im zahlenmäßigen Verhältnis von Rentenbeziehern zu Beitragszahlern. Durch die Inflationsindexierung werden Bestandsrenten nicht an die Lohnentwicklung, sondern an die Inflation angepasst. Eine Erweiterung des Versichertenkreises um neue Beamte sowie neue Selbstständige erhöhe zwar die Anzahl an Beitragszahlern in der GRV, verschiebe aber das Finanzierungsproblem in die Zukunft. Die Beamtenversorgung zu reformieren, die Versicherungspflicht mit Wahlfreiheit auch für Selbstständige einzuführen und die Erwerbstätigkeit zu steigern, seien Aufgaben erforderlicher struktureller Reformen. Eine Einschätzung der Lage durch die Experten Raffelhüschen und Ruß Der bekannte Wirtschaftswissenschaftler und Hochschullehrer Dr. Bernd Raffelhüschen nennt im Versicherungsboten im Januar 2023 vier Vorschläge zur Rettung des Rentensystems: die Renten von der Lohnentwicklung zu entkoppeln, eine Absenkung des Rentenniveaus auf 40 bis 41 Prozent, mehr Hilfen für Rentner, die an der Armutsgrenze leben, bspw. über längeres Arbeiten als „Hilfe zur Selbsthilfe“ und die Anhebung des Renteneintrittsalters nach 2030 auf 68 oder 69 Jahre zusammen mit der Einführung eines Lebenserwartungsfaktors in die Rentenformel. Dr. Jochen Ruß, Geschäftsführer des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa), veröffentlichte im Juli 2023 eine Studie mit dem Titel „Aktuelle Situation der Altersvorsorge und Reformvorschläge“, in der er die Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten der gesetzlichen Rente darstellt. Er hält für die langfristige Stabilisierung der gesetzlichen Rente die Einführung des geplanten Kapitalstocks für sinnvoll, man müsse sich aber bewusst sein, dass dieser die Herausforderungen der 2030er-Jahre nicht bewältigen könne, weitere Reformen der GRV seien daher unabdingbar. Eine Überforderung der öffentlichen Finanzen scheine nur mit der Abkehr von der doppelten Haltelinie sowie einer weiteren Erhöhung der Regelaltersgrenze, idealerweise gekoppelt an die Lebenserwartung, vermeidbar. Außerhalb der gesetzlichen Rente müssten vorrangig die existierenden kapitalgedeckten Systeme wie die Riester-Rente gestärkt werden, insb. durch Absenkung der Garantien. Die Zeit für neue Systeme hätte man nicht mehr. Bei staatlich geförderten Altersvorsorgeprodukten wären weiterhin Anreize zur Verrentung wünschenswert, denn jeder habe lebenslang Ausgaben und müsse diese durch lebenslange Einkommen absichern. Chef des Prognos-Instituts: Politik will „Quadratur des Kreises“ Und jetzt? Im Sommer 2023 kündigte Arbeitsminister Hubertus Heil an, dass die sogenannte erste Haltelinie – das Mindestrentenniveau von 48 Prozent – über das Jahr 2025 hinaus verlängert werde. Die Festschreibung des Beitragssatzes bei unter 20 Prozent solle hingegen nach 2025 nicht fortgesetzt werden, womit die Bundesregierung von der „doppelten Haltelinie“ abrücke. Derzeit laufen noch regierungsinterne Absprachen zum Rentenpaket II, das Gesetz soll „bald“ auf den Weg gebracht werden. Genaues weiß man nicht. insider sprach mit Dr. Oliver Ehrentraut, Direktor und Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung der Prognos AG und verantwortlich für den Standort Freiburg. Was sollte seiner Meinung nach zur doppelten Haltelinie beschlossen werden? „Eine dauerhafte doppelte
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