BCA insider 03_2022
R U N D U M L E I T T H E M E N H E A D L I N E S & I N S I G H T S 9 erwartung – erscheint in jedem Fall unausweichlich“, so Ruß. Gerade die bestehenden doppelten Haltelinien werden die öffentlichen Finanzen massiv belasten, sind weder zielfüh- rend noch generationengerecht. Dies belegten die Wissenschaftler über mehrere Modellrechnungen. Beispielhaft nimmt die Studie Be- zug auf eine 2020 veröffentlichte Projektionsrechnung der damaligen Bundesregierung für die gesetzliche Rentenversicherung bis zum Jahr 2045 in Bezug auf Sicherungsni- veau, Beitragssatz und Zuschuss aus Bundesmitteln. Demnach wird das Sicherungsniveau bis zum Jahr 2045 um fünf Prozentpunkte auf 43,2 Pro- zent fallen, während der Beitragssatz um über vier Prozentpunkte auf 22,9 Prozent steigt. Zusätzlich nehmen die Bundesmittel für die gesetzli- che Rente um über 140 Prozent auf dann über 213 Mrd. Euro pro Jahr zu. Weiter wird laut Berechnung schon 2026 das Rentenniveau auf unter 48 Prozent fallen. Im Koalitionsver- trag der aktuellen Bundesregierung wurde hingegen angekündigt, ein Mindestrentenniveau von 48 Prozent dauerhaft (!) zu sichern. „Dies würde zwingend dazu führen, dass Beiträge und/oder Bundesmittel noch deutlich stärker steigen müssten als in der Projektionsrechnung, so- fern nicht an anderen Stellschrauben gedreht wird“, stellt Ruß klar. Schnel- le Systemveränderungen sind daher wichtig, um vorauszusehende drasti- sche Belastungen zu verhindern. Da bereits heute offenkundig ist, dass die Haltelinien nicht dauerhaft finanzierbar sind und auch die Regelaltersgrenze steigen muss, sollte dies nach Ansicht der Studienautoren den Bürgern auch transparent kommuniziert werden. Privat und gesetzlich: Vorteile beider Systeme nutzen Für die Zukunft der Altersvorsorge sei es laut ifa zudem vorteilhaft, die Stär- ken und Schwächen von Umlagever- fahren und Kapitaldeckung zu berück- sichtigen und beide Systeme in der Form miteinander zu verbinden, dass man – gleichsamwie bei einem Invest- mentportfolio – von der Diversifikation profitieren kann (siehe Abbildung 2). „Einfach gesagt: Umlageverfahren und Kapitaldeckung sind anfällig für unterschiedliche Risiken. Daher gilt es, Risiken zu streuen, indem man beide Systeme parallel nutzt und sinnvoll aufeinander abstimmt“, so Ruß. Die Frage, welches „Mischungsverhält- nis“ zwischen Umlageverfahren und Kapitaldeckung sinnvoll ist, ist laut Studienergebnissen hochkomplex. „Derzeit besteht aber weitgehende Einigkeit, dass eine Erhöhung der Ka- pitaldeckung für eine langfristige Sta- bilisierung des gesamten Rentensys- tems erstrebenswert ist. Dies ist auch wenig überraschend, da der Anteil der gesetzlichen Rente am Alterseinkom- men der Bevölkerung in Deutschland sehr hoch ist“, erklärt Ruß. Nebst Anpassungen der Haltelini- en und des Renteneinstiegsalters ist daher der von der Koalition geplante Aufbau eines Kapitalstocks innerhalb der gesetzlichen Rente ein sinnvoller Baustein. „Dies kann einen Beitrag leisten, um die gesetzliche Rente langfristig zu stärken, sollte aber rasch ein signifikant größeres Ausmaß an- nehmen als der im Koalitionsvertrag vorgesehene erste Schritt eines Kapi- talstocks von 10 Mrd. Euro“, so Ruß. Dies vor dem Hintergrund, dass Kapi- taldeckung Zeit benötigt, um sich zu entfalten. Ein heutiger Einstieg wird nach Ansicht der ifa-Experten, die durch die Babyboomer ausgelösten Herausforderungen in den 2030er- Jahren nicht bewältigen können. Demzufolge braucht es einen Mix aus unterschiedlichen Maßnahmen. bAV und Riester: bewährte Konzepte stärken Außerhalb der gesetzlichen Rente wäre es laut ifa-Studie vorteilhaft, vorrangig existierende kapitalge- deckte Systeme zu stärken, statt neue, staatlich organisierte einzu- führen. Beispielhaft wird an dieser Stelle die Riester-Rente genannt, mit der bereits seit Jahren Kapital aufge- baut wurde. Die Autoren verweisen auf eine Studie von Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, in der berechnet wurde, dass die rund 16 Mio. Besit- zer eines Riester-Vertrags im Schnitt 13,9 Prozent ihres letzten Brutto- einkommens ersetzen können. Die Riester-Rente trägt somit in vielen Fällen signifikant zur Finanzierung des Lebensstandards im Alter bei und erreicht eine Versorgung, die mit den anderen Vorsorgewegen der zweiten Schicht vergleichbar ist. Be- sondere Bedeutung dürfte die Ries- ter-Rente ebenso wie die Betriebs- rente für diejenigen Vorsorgesparer erhalten, deren gesetzlicher Renten- anspruch absehbar unter einem ge- wissen Mindestniveau liegt. Umso unverständlicher ist es für die ifa-Experten, dass die Politik die Ries- ter-Rente in der letzten Legislaturpe- riode massiv geschwächt anstatt ge- stärkt hat. Dieses verlorene Vertrauen in der Gesellschaft müsse nunmehr zurückgewonnen werden. Dies könne über eine Stärkung der Riester-Rente geschehen. Im aktuellen Zinsumfeld Abbildung 2: Risiken für umlagefinanzierte und kapitalgedeckte Systeme (vereinfachte Darstellung) Risiko Auswirkung auf umlage finanziertes System Auswirkung auf kapital gedecktes System Demografischer Wandel Hoch Nur mittelbar Konjunktur Hoch Nur mittelbar Zins, Aktien Nur mittelbar Hoch Inflation Nur mittelbar Hoch Quelle: ifa-Studie „Thesen zur Zukunft der Altersvorsorge in Deutschland“ 2022
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTA1Mzk2Nw==